9.1 Lehrkräfte – „Verzögerung unterrichten“
🧑🏫 Systemische Position
Lehrkräfte formen Realitätsverständnis – durch Stoff, Sprache, Haltung, Auswahl.
Bildung kann stabilisieren – oder öffnen. Reproduzieren – oder stören.
Die Rolle von Bildung im Kontext der Klimakrise ist vielfach untersucht – etwa durch O’Brien (2012), Lange (2018), Göpel (2020) oder Kliemann & Fischer (2022).
Der Fokus liegt zunehmend auf der Frage, wie Schule nicht nur informiert, sondern auch handlungsfähig macht – und was sie dabei strukturell verhindert.
🕰️ Verzögerung im Bildungsraum
- Klimakrise erscheint als Naturphänomen, nicht als Machtstruktur
- Lehrpläne priorisieren „objektive Darstellung“ – meiden systemische Analyse
- Handlung wird individualisiert („Was kannst DU tun?“), nicht politisiert
- Fachcurricula trennen ökonomische, soziale und ökologische Logik
- Politische Aushandlung wird entkontextualisiert – z. B. als „Kontroverse“
Diese Muster lassen sich unabhängig von Schulform oder Fachrichtung beobachten – zeigen sich jedoch unterschiedlich ausgeprägt in Grundschule, Sekundarstufe oder Berufsschule.
🔧 Beispiel 1: „Lehrbuch-Störung“
Kontext: Geografiebuch, Klasse 9
Typische Aufgabe: „Analysiere diese CO₂-Grafik und überlege, was du selbst tun kannst.“
Störende Erweiterung
Arbeitsblatt: „Was wird hier gesagt – und was verschwiegen?“
Aussage | Frage zur Systemlogik |
---|---|
„Deutschland hat CO₂ reduziert.“ | Wurde Produktion einfach ins Ausland verlagert? |
„Die Politik hat Maßnahmen beschlossen.“ | Welche wurden verzögert oder verwässert – und durch wen? |
„Jede:r kann etwas beitragen.“ | Wer verhindert strukturelle Veränderung aktiv? |
Ziel:
Vom individuellen Verhalten zur systemischen Analyse – ohne Schuldzuschreibung, aber mit Machtbewusstsein.
🔧 Beispiel 2: „Systemtheater“
Kontext: Projektwoche, Thema „Zukunft & Klima“
Typischer Ablauf: Bastelprojekte, Visionen 2050
Alternative Aktion
Rollenspiel: „Die Verzögerungskonferenz“
- Schüler:innen spielen reale Akteure (Ministerien, Lobby, NGO, Industrie)
- Verwenden echte Politiker:innenzitate (z. B. aus Parteiprogrammen, Bundestagsprotokollen)
- Diskutieren: Was wird gesagt – was wird verhindert?
Reflexion danach:
„Welche dieser Phrasen habt ihr schon in Talkshows, Schulbüchern oder Nachrichten gehört?“
„Was wird als realistisch bezeichnet – und was nicht? Warum?“
Hinweis zur Umsetzung:
Format eignet sich ab Klassenstufe 9, auch im Politik-, Ethik- oder Deutschunterricht. Rollen können vorbereitet oder gemeinsam entwickelt werden.
📎 Mikrointerventionen für den Unterrichtsalltag
- Tafelbild: „Was wird gesagt – was bleibt ungesagt?“
→ Als Einstieg oder Nachbereitung politischer Debatten - Wochenfrage: „Wer profitiert vom Nicht-Handeln?“
→ Diskussion über Akteursinteressen jenseits moralischer Appelle - Rechercheauftrag: „Wer hat wann welches Klimaversprechen gemacht – und gebrochen?“
→ Anschlussfähig an MINT- oder gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht
📊 Didaktische Hinweise
- Formatvisualisierung kann durch einfache Icons, Arbeitsblätter oder Padlet-Boards ergänzt werden
- Für Grundschule/Orientierungsstufe sind angepasste Formate mit Bildern, Rollenkarten oder vereinfachten Texten notwendig
- Höhere Jahrgänge können zusätzlich mit Originalquellen (z. B. Bundestagsdrucksachen) arbeiten
💡 Fazit
Bildung, die sich neutral nennt, hilft dem Status quo.
Bildung, die stört, kann Zukunft schaffen.
Lehrkräfte können keine Revolution machen.
Aber sie können Sprache sichtbar machen – und Verantwortung verschieben.
Genau das stört. Und genau da beginnt Handlung.
Literaturhinweise (für weiterführende Leselisten):
- O’Brien, K. (2012). Global Environmental Change and Human Security.
- Göpel, M. (2020). Unsere Welt neu denken.
- Lange, J.-M. (2018). Bildung für nachhaltige Entwicklung als transformative Bildung.
- Kliemann, J. & Fischer, D. (2022). Politische Bildung in der Klimakrise. In: GPJE Jahrbuch