9.4 Aktivist:innen – „Widerstand gegen was, genau?“
🧑🎤 Systemische Rolle
Aktivismus will Wandel beschleunigen – doch läuft oft in vorbereitete Gassen:
ritualisiert, berechenbar, symbolisiert.
Nicht jeder Protest stört.
Mancher Protest stabilisiert – weil er erwartet wird.
🚧 Typische Blockaden im Aktivismus
Muster | Beschreibung | Folge |
---|---|---|
Ritualisierung | Wiederholte Formate („Freitags, gleiche Route“) | Politisches Rauschen ohne Reibung |
Radikalitätsdilemma | Zu laut = diskreditiert / zu leise = vereinnahmt | Selbstzensur oder Wirkungslosigkeit |
Systemblindheit | „Gegen das System“ – aber ohne Analyse konkreter Mechanismen | Empörung ohne Hebelwirkung |
Medienlogik-Verinnerlichung | Aktionen nach Klick- und Bildlogik gestaltet | Sichtbarkeit statt struktureller Irritation |
Koalitionsunfähigkeit | Konkurrenz um Radikalität, statt Bündnisfähigkeit | Fragmentierung |
🔧 Beispiel 1: „Ritualstörung – raus aus der Komfortzone des Protests“
Kontext:
Geplante Demo, Route bekannt, Ablauf klar, Slogans vertraut.
Medien wissen, was kommt – Reaktion: „Wir hören die Sorgen“.
Alternative Aktion: Verzögerungskonferenz (Straßenperformance)
- Aktivist:innen verkörpern reale Rollen (Ministerien, Lobby, NGO, Industrie)
- Verwenden echte Zitate aus Politik, Industrie, Medien
- Simulation: 30 Jahre Blockade – in 30 Minuten
Ziel:
Verzögerung als Inszenierung enttarnen – nicht nur Untätigkeit, sondern Strategie.
🔧 Beispiel 2: „Framing hacken – raus aus der Radikalitätsfalle“
Problem:
Medien berichten über Protest als „Störung“ – nicht über Ursachen.
Aktion:
Pressekonferenz mit anderer Drehung:
Titel: „Was wir nicht sagen dürfen – aber müssen“
- Vorlesen von Zuschreibungen: „Klimaradikale“, „Extremisten“, „Sekte“
- Faktencheck: Wer hat wann systematisch verzögert – und mit welchen Begriffen?
📎 Formatidee:
Kachel-Serie / Blog / Insta-Story: „Was sie über uns sagen – was wir wirklich tun“
Ziel:
Framing umkehren: Nicht „radikal“ – sondern präzise in der Systemdiagnose.
🔧 Beispiel 3: „Koalitionen gegen das Normale“
Blockade:
Gruppen arbeiten parallel, mit ähnlicher Analyse – aber ohne geteilte Sprache oder Koordination.
Interventionsformat: Mapping the Delay
Workshop mit mehreren Gruppen, gemeinsames Mapping:
Akteur | Mittel | Narrativ | Wirkung |
---|---|---|---|
BMW | PR, Sponsoring | „Wir wollen grün sein.“ | Greenwashing, Zeitgewinn |
Bundesregierung | Gesetzgebung | „Technologieoffenheit“ | Vermeidung struktureller Pfade |
FDP-Fraktion | Sprachpolitik | „Freiheit statt Verbote“ | Individualisierung der Schuld |
➡️ Gemeinsames Ergebnis:
→ Geteiltes Vokabular
→ Koordinierte Störaktionen an Bruchstellen – nicht an Symbolen
🧯 Reflexionswerkzeug: „Bin ich noch Störung – oder schon Ritual?“
Fragen für Gruppenreflexion:
- Was war unser letztes Ziel – und wie wurde Wirkung gemessen?
- Wer hat sich durch uns bewegt – wer hat nur kommentiert?
- Welche Routinen reproduzieren wir – obwohl sie wenig verändern?
- Wann haben wir zuletzt jemanden wirklich irritiert – nicht nur erreicht?
➡️ Format: Flipchart, Retrospektive-Tool, Camp-Material
📎 Bonusformat: „Aktion ohne Bild“
Ziel: Etwas tun, das nicht medial verwertbar ist – aber strukturell wirkt.
Beispiele
- Echte Zitate aus Lobby-Hearings anonym per Post an Ausschussmitglieder senden
- Broschüre: „So wird verzögert“ – mit Originalzitaten aus Parteiprogrammen und Gesetzesentwürfen
- Mailing an Redaktionen: „10 Floskeln, die systemische Untätigkeit tarnen“
🎓 Transfer & Anwendung
- Workshopidee: „Strategien der Gegenmacht – Jenseits der Sichtbarkeit“
- Praxisübung: Mapping der eigenen Aktivismusgeschichte auf Reibungswirkung
- Diskussionsrunde: „Protest als Praxis – oder Ritual?“
💡 Fazit
Aktivismus, der nicht stört, wird dekoriert.
Aktivismus, der Muster zeigt, wird gefährlich.
Wer Protest strukturell denkt,
spricht nicht in Parolen – sondern in Verzögerungsdiagnosen.
Das ist radikal – im besten Sinne: an die Wurzel gehend.