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10.1 Systemlogik in Zahlen – Die Ökonomie der Verzögerung

Die Verzögerung war kein Zufall.
Sie war bilanziert. Berechnet. Abgesichert.

🏦 Betriebswirtschaft statt Irrtum

Was auf den ersten Blick wie politische Uneinigkeit oder bürokratische Trägheit wirkt, folgt häufig einer klaren ökonomischen Logik: Rendite vor Risiko.

Strategien der Verzögerung und Verhinderung entstehen nicht etwa trotz, sondern wegen des Wissens um die Klimakrise.
Sie sind vertraglich geschützt, finanziell attraktiv und institutionell verankert – Ausdruck einer betriebswirtschaftlich durchdachten Systemlogik.

🔢 Zehn Kennzahlen, die das System beschreiben

Die folgende Tabelle versammelt zentrale Machtachsen und ökonomische Anreize, die die globale Klimapolitik prägen – und strukturelle Blockaden für echten Wandel schaffen:

KennzahlWert / Fakt
Globale fossile Subventionen (2022)7 Billionen US-$ weltweit.[1]
ISDS-Klagen gegen Umweltgesetze> 100 Investorenklagen gegen Staaten wegen Umweltgesetzen.[2]
WTO-HandelsregelnErschweren CO₂-Grenzausgleich, Schutzmaßnahmen & lokale Produktion.[3]
Investitionsanteil Top-5-Ölkonzerne> 95 % ihrer Investitionen fließen weiterhin in fossile Projekte.[4]
Größte Anteilseigner ÖlkonzerneBlackRock · Vanguard · State Street halten systemrelevante Anteile.[5]
71 % der globalen Emissionen seit 1988Gehen auf nur 100 Konzerne zurück.[6]
LobbyzieleEinfluss auf EU-Taxonomie und deren nationale Umsetzung sowie Berichtspflichten.[7]
Klimarisiko in Fondsstrategien (weltweit)Nur ~5 % der Fonds folgen einem 1,5°C-kompatiblen Pfad.[8]
Versicherung fossiler Projekte (2023)Großteil der Versicherer deckt weiterhin neue Kohle- & LNG-Projekte.[9]
Fossil‑Lobby‑Ausgaben USA (2022)Ca. 126 Mio US‑$ für direkte Lobbyarbeit auf Bundesebene.[10]
Umweltschädliche Subventionen (Deutschland)~65 Mrd. €/Jahr, z. B. Dieselprivileg & Steuerbefreiung für Kerosin.[11]

Beispiel Deutschland:
Trotz erklärter Klimaziele bleiben das Dieselprivileg oder die Steuerfreiheit für Kerosin bestehen – Maßnahmen, die fossile Mobilität begünstigen und jährlich Milliardensummen kosten.

🏭 Wer emittiert – und warum das wichtig ist

Laut dem Carbon Majors Report 2017 sind 71 % der industriellen Treibhausgasemissionen zwischen 1988 und 2015 auf lediglich 100 Unternehmen zurückzuführen. Besonders deutlich wird diese Konzentration bei den zehn größten Emittenten:

🔟 Top 10 fossile Emittenten (1988–2015)

RangUnternehmenSektorCO₂e-Emissionen [Gt]Anteil global [%]TypLand
1China (Coal)Kohle128.9314.3StaatlichChina
2Saudi Arabian Oil Company (Aramco)Öl & Gas40.564.5StaatlichSaudi-Arabien
3Gazprom OAOÖl & Gas35.223.9StaatlichRussland
4National Iranian Oil CoÖl & Gas20.512.3StaatlichIran
5ExxonMobil CorpÖl & Gas17.792.0PrivatUSA
6Coal IndiaKohle16.841.9StaatlichIndien
7Petroleos Mexicanos (Pemex)Öl & Gas16.801.9StaatlichMexiko
8Russia (Coal)Kohle16.741.9StaatlichRussland
9Royal Dutch Shell PLCÖl & Gas15.021.7PrivatNiederlande
10China National Petroleum Corp (CNPC)Öl & Gas14.041.6StaatlichChina

Hinweis zur Datenquelle:
Die Tabelle basiert auf dem Carbon Majors Report 2017 (Richard Heede, CDP & Climate Accountability Institute) und bezieht sich auf die kumulierten industriellen Treibhausgasemissionen (Scope 1+3) der Jahre 1988–2015. Eine aktuellere, vergleichbar umfassende Auswertung auf Unternehmensebene liegt derzeit nicht vor.[6:1]

Laut dem Carbon Majors Report 2017 sind 71 % der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen seit 1988 auf nur 100 fossile Unternehmen zurückzuführen. Besonders bemerkenswert: 25 dieser Unternehmen allein sind für 51 % der globalen industriellen Emissionen verantwortlich.

Diese Tabelle zeigt eindrücklich: Die Klimakrise ist nicht die Folge diffusen Konsums allein, sondern lässt sich konkret auf wirtschaftliche Akteure zurückverfolgen.
Die Zahlen beziehen sich auf kumulative Emissionen aus Produktion und Verbrennung fossiler Rohstoffe im Zeitraum 1988–2015 (Scope 1+3).

Ein Großteil der Emissionen ist nicht nur historisch messbar – er ist auch strukturell abgesichert: durch Lizenzen, Subventionen, Investitionsabkommen und Marktregeln.

🧠 Systemischer Kontext: Sicherheit statt Wandel

Diese Zahlen erzählen keine neue Geschichte – aber sie machen strukturelle Zusammenhänge sichtbar.

Nicht Unwissen, sondern institutionelle Sicherheiten bestimmen die Handlungslogik:

  • Fondsportfolios setzen auf bewährte Renditen statt auf klimagerechte Transformation.
  • ISDS-Klauseln (Investor-Staat-Schiedsverfahren) ermöglichen es Konzernen, Staaten wegen Umweltauflagen zu verklagen.
  • Handelsverträge und regulatorische Schlupflöcher festigen Status quo und Besitzstände.

So entsteht ein Gefüge, das bestehende Interessen schützt – und grundlegenden Wandel verzögert.

Das System verzögert nicht, weil es scheitert,
sondern weil es funktioniert – nach seiner eigenen Logik.

Ein System, das weiß, was es tut –
und genau deshalb so schwer zu verändern ist.

🧾 Quellenbasis

Diese Tabelle listet belegte Aussagen des Kapitels.

Quelle / AutorJahrQuelle (Typ)Belegt was?Verlinkung / Fundort
IEA & IMF2023Policy ReportGlobale fossile Subventionen[1:1]
UNCTADo. J.Offizielles DokumentAnzahl ISDS-Klagen gegen Umweltgesetze[2:1]
WTOo. J.Offizielles DokumentHandelsregeln erschweren CO₂-Grenzausgleich & Klimaschutz[3:1]
International Energy Agency2024Policy ReportInvestitionen der Top-5-Ölkonzerne in fossile Projekte[4:1]
U.S. SECo. J.Regulatorische DatenquelleAnteilseigner Ölkonzerne[5:1]
InfluenceMap2020NGO-BerichtLobbyziele bei EU-Taxonomie und Klimagesetzen[7:1]
InfluenceMap2022NGO-BerichtAnteil 1,5°C-kompatibler Fondsstrategien weltweit[8:1]
Insure Our Future2023NGO-BerichtVersicherung fossiler Projekte durch große Anbieter[9:1]
OpenSecrets.org2022NGO-BerichtFossil-Lobby-Ausgaben in den USA[10:1]
Umweltbundesamt2021RegierungsberichtUmweltschädliche Subventionen in Deutschland[11:1]
CDP & Climate Accountability Institute2017NGO-BerichtAnteil der Emissionen großer fossiler Unternehmen (Carbon Majors)[6:2]

  1. IEA & IMF (2023): Energy Subsidies 2022. [Policy Report]. Verfügbar unter: https://www.imf.org/en/Topics/climate-change/energy-subsidies [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  2. UNCTAD (o. J.): Investment Dispute Settlement Navigator. [Offizielles Dokument]. Verfügbar unter: https://investmentpolicy.unctad.org/investment-dispute-settlement [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  3. WTO (o. J.): Climate and Trade Overview. [Offizielles Dokument]. Verfügbar unter: https://www.wto.org/english/tratop_e/envir_e/climate_intro_e.htm [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  4. International Energy Agency (2024): World Energy Investment 2024 – Overview and key findings. [Policy Report]. S. 1–2. Verfügbar unter: https://www.iea.org/reports/world-energy-investment-2024/overview-and-key-findings [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  5. U.S. SEC (o. J.): Company Filings Database. [Regulatorische Datenquelle]. Verfügbar unter: https://www.sec.gov/edgar/searchedgar/companysearch.html [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  6. CDP & Climate Accountability Institute (2017): Carbon Majors Report. Richard Heede. [NGO-Bericht]. Verfügbar unter: https://cdn.cdp.net/cdp-production/cms/reports/documents/000/002/327/original/Carbon-Majors-Report-2017.pdf [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎ ↩︎

  7. InfluenceMap (2020): Lobbying on the EU Taxonomy’s Green Criteria. [NGO-Bericht]. Verfügbar unter: https://influencemap.org/EN/report/Lobbying-on-the-EU-Taxonomy-s-Green-Criteria-9fa94d19d713248426018f89410d2fbd [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  8. InfluenceMap (2022): Finance and Climate Change: A Comprehensive Climate Assessment of the World’s Largest Financial Institutions. [NGO-Bericht]. Verfügbar unter: https://g20sfwg.org/wp-content/uploads/2022/07/Finance-and-Climate-Change.-A-Comprehensive-Climate-Assessment-of-the-Worlds-Largest-Financial-Institutions-InfluenceMap.pdf [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  9. Insure Our Future (2023): Fossil Fuel Insurance Scorecard 2023. [NGO-Bericht]. Verfügbar unter: https://global.insure-our-future.com/wp-content/uploads/2023/11/IOF-2023-Scorecard.pdf [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  10. OpenSecrets.org (2022): Fossil Fuel Industry Lobbying Totals. [NGO-Bericht]. Verfügbar unter: https://www.opensecrets.org/federal-lobbying/sectors/summary?id=E [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎

  11. Umweltbundesamt (2021): Umweltschädliche Subventionen in Deutschland – Aktualisierte Ausgabe 2021. [Regierungsbericht]. Verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland-0 [Zugriff am: 20.07.2025]. ↩︎ ↩︎