9.7 Hochschulen & Wissenschaft – „Verzögerung erforschen – oder verlängern?“
🎓 Systemische Position
Wissenschaft hat Autorität – aber selten Handlung.
Sie beschreibt die Welt – oft ohne sie zu stören.
Wissen allein ändert nichts.
Was zählt, ist: Wo es anschlussfähig wird – und wo nicht.
⏳ Verzögerung in der akademischen Welt
- Forschung bleibt systemintern: „mehr Daten“, „mehr Modelle“, „mehr Paper“
- Politische Relevanz wird als Aktivismus diffamiert
- Lehrveranstaltungen reproduzieren alte Paradigmen (Wachstum, Neutralität)
- Drittmittellogik verhindert Kritik an mächtigen Strukturen
🔧 Beispiel 1: Forschung als Beruhigung
Kontext: Ein interdisziplinäres Zentrum erhält Förderung für „klimabezogene Zukunftsforschung“
Zielsetzung: „Generierung von Wissen zur transformativen Gesellschaftsgestaltung“
Tatsächliche Outputs:
- 6 Konferenzen
- 12 Paper in Paywall-Journals
- 1 Policy Brief mit „Technologieoffenheit“ als Handlungspfad
Systemische Kritik
Strukturproblem | Effekt |
---|---|
Keine Umsetzungsschnittstelle | Wissen bleibt Wissen |
Sprachbarriere | Ergebnisse erreichen keine Praxisakteure |
Selbstreferentialität | Forschung wird zum Selbstzweck |
Intervention:
→ Forschungsbeirat mit Nicht-Akademiker:innen
„Wer profitiert von dem, was ihr nicht sagt?“
🔧 Beispiel 2: Lehre als Reproduktion
Beispiel: VWL-Vorlesung im 3. Semester – Fokus auf Wachstum, Externalitäten, Marktlogik
Unsichtbar gemacht:
- Machtverhältnisse
- Klimafolgen als Verteilungskonflikt
- Strukturelle Pfadabhängigkeit von „Lösungen“
Alternative:
→ Seminarformat: „Verzögerungsgeschichte des Klimawandels“
- Wer wusste was – und wann?
- Welche Forschung wurde ignoriert – und warum?
- Welche Narrative wurden durch welche Disziplinen verstärkt?
🔧 Beispiel 3: Wissenschaftskommunikation als Systemstörung
Problem: Viele Forschende sagen in Interviews:
„Dazu kann ich nichts sagen. Ich bin keine Politikerin.“
Frage:
→ Warum glauben wir, dass Wahrheit ≠ Position ist?
Stör-Experiment:
→ „Was ich nicht sagen darf – aber denke“
- Forschende veröffentlichen ihre persönlichen politischen Schlüsse – ohne institutionelle Sprecherrolle
- Formate: Blog, Audio, Poster-Serie auf dem Campus
📚 Workshopidee: Akademische Selbstentzauberung
Titel: „Ist unsere Forschung Anschluss – oder Alibi?“
Leitfragen:
- Welche Praxisakteure lesen unsere Arbeit – und welche nicht?
- Welche Sprache verhindern wir – obwohl sie gebraucht wird?
- Was würde passieren, wenn wir nicht mehr neutral wären?
Ziel:
→ Selbstverständnis-Verschiebung
→ Von Beschreibung zur Adressierung
💡 Fazit
Hochschulen reproduzieren Weltbilder.
Wenn sie nicht stören, verstärken sie das Bestehende – sogar mit besten Absichten.
Neutralität ist kein Schutz.
Sie ist eine Entscheidung.
Wissenschaft kann transformativ sein –
wenn sie sich traut, Wirklichkeit nicht nur zu analysieren, sondern zu adressieren.